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Faculty of Humanities and Theology
Drittmittelprojekt (DFG-Sachbeihilfe)

Kontroverse Themen im konfessionellen Religionsunterricht (KoTheRu)

Quantitativ-qualitative Erhebung der Subjektiven Theorien von Religionslehrkräften

Das Bild zeigt das Logo der Deutschen Forschungsgesellschaft. © DFG

Projektleitung: Dr. Jan-Hendrik Herbst
Mitarbeit:
Johanna Hanke (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)
Michael Lange (Wissenschaftliche Hilfskraft)
Förderer: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Förderprogramm: Sachbeihilfe
Dauer der Förderung: 36 Monate
Fördersumme (inkl. Programmpauschale): 212.340 Euro


Stand der Forschung und Relevanz des Themas ,Kontroversität'

Die Lehrpläne des konfessionellen Religionsunterrichts (RU) sind voller kontroverser Themen. Damit sind Problemfragen gemeint, die wissenschaftlich und/oder politisch nicht eindeutig zu beantworten und in der Öffentlichkeit umstritten sind. Inhaltsfelder religiöser Bildung sind in gesellschaftlicher (z. B. ‚Migration‘), kirchenpolitischer (z. B. ‚Zölibat‘) und/oder theologischer Hinsicht (z. B. ‚Religionskritik‘) kontrovers. Dabei gibt es auch Themen wie ‚LGBTIQ*‘, die in jeder Hinsicht kontrovers sind. Im Umgang mit solchen Inhaltsfeldern gelten religionspädagogisch und z. T. auch von kirchlicher Seite politikdidaktische Standards aus dem Beutelsbacher Konsens als bewährt (z. B. Hiller/Münch-Wirtz 2021, 135–139). Besonders hervorzuheben ist hier das sog. Kontroversitätsgebot. Dieses besagt, dass kontroverse Themen offen, multiperspektivisch und nicht-direktiv zu unterrichten sind. Argumentiert wird für die religionspädagogische Geltung des Kontroversitätsprinzips u. a. mit Blick auf dessen didaktische Orientierungskraft (z. B. Umgang mit spontanen Unterrichtssituationen oder Vorbereitung komplexer Unterrichtsreihen) und die belegte Stärkung von Zielen religiöser Bildung und Demokratiebildung: Die methodisch versierte Auseinandersetzung mit Kontroversen im RU fördert u. a. die religionsbezogene Urteilsfähigkeit der Schüler:innen (Muth 2021, 37) und Toleranz durch Perspektivenwechsel (Pace 2019, 228).

In der deutschsprachigen christlichen Religionspädagogik findet sich allerdings bisher kein Forschungsprojekt, welches die Rolle von ‚Kontroversität‘ in der Unterrichtspraxis untersucht. Dies stellt eine virulente Leerstelle dar: Es existieren zwar vielfältige Studien aus anderen Fachbereichen und Länderkontexten. Jedoch lassen sich diese nicht unmittelbar auf die religionspädagogische Situation in Deutschland übertragen, weil nur wenige Untersuchungen repräsentativ sind und Kontroversität kontext- und fachspezifisch geprägt ist. Die Studien deuten zumindest einige potenzielleSchwierigkeiten an: (1) Welche Themen sollten überhaupt kontrovers unterrichtet werden? Hierbei ergibt sich etwa die Herausforderung, dass nicht qualifizierte Lehrkräfte dazu tendieren, politisch-extremistische Positionen gleichrangig aufzunehmen und damit anzuerkennen (z.B. Oberle et al. 2018). (2) Wie sollten diese Themen unterrichtet werden und welche Rolle sollte die Lehrkraft dabei einnehmen? Diesbezüglich lässt sich das Spannungsfeld feststellen, dass Religionslehrkräfte einerseits den Schüler:innen möglichst große Freiräume zur Diskussion bieten möchten und andererseits als kirchlich Beauftragte in der Diskussion nicht neutral sein können/sollen. (3) Welche förderlichen Bedingungen gibt es, damit Lehrkräfte Kontroversen auch kontrovers unterrichten? Die Forschung zeigt, dass Lehrkräfte sich mit dem Unterrichten von Kontroversen enorm schwertun. Dabei deutet sich an, dass diese Herausforderung v. a. Religionslehrkräfte betreffen könnte (z. B. Anker/Lippe 2018). Gründe dafür sind die fehlende sozialwissenschaftliche Vorbildung oder die Sorge vor Kritik/Sanktionen durch Religionsgemeinschaften.

Untersuchungsziel: Subjektive Theorien von Religionslehrkräften

Die Relevanz von ‚Kontroversität‘ in der Praxis des RU lässt sich nur relativ aufwändig untersuchen. In der Religionspädagogik ist es gerade in Bezug auf komplexe und unerforschte Praxiszusammenhänge etabliert, sich auf das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) zu beziehen (z. B. Kindermann 2017). Bei Subjektiven Theorien (ST) handelt es sich um „Kognitionen der Welt- und Selbstsicht“ (ebd., 153). Dabei hängen Wissens-, Vorstellungs- und Einstellungskomponenten miteinander zusammen. ST besitzen eine handlungsleitende Funktion. In Bezug auf Lehrkräfte bedeutet dies: Ihre ST wirken sich auf die Art des Unterrichtens aus. Beispielsweise hängt es von den Annahmen der Lehrperson ab, ob und wie ein bestimmtes Thema im Unterricht auch als Kontroverse dargestellt wird. In qualitativen, integrativen und forschungsintensiven Verfahren werden ST erhoben: Über Leitfaden-Interviews, Struktur-Lege-Sitzungen und videografierte Unterrichtsbeobachtungen (z. B. Kindermann 2017, 65–138). In Bezug auf den zuvor dargestellten Forschungsstand sollen die drei potenziellen Herausforderungen für die Religionspädagogik untersucht werden – und zwar in Bezug auf Lehrkräfte evangelischer und katholischer Religionslehre, die in der Sek. II lehren. Aufgrund des aufwändigen Verfahrens im Rahmen des FST ist bei einer solchen Studie nur eine geringe Stichprobengröße möglich. Aus diesem Grund gilt es, das Sampling mit Bedacht vorzunehmen. Dazu eignet sich purposives Sampling (z. B. Kuckartz 2014, 77–87): Anhand eines Online-Fragebogens sollen im Rahmen einer durch die TU-Young Academy geförderten Vorstudie zentrale demographische (z. B. Alter, Geschlecht, Konfession) und themenbezogene Merkmale (z. B. Religiosität und politische Zugehörigkeit) abgefragt werden. Im Sample soll dann in Bezug auf die relevanten Merkmale eine möglichst große, ähnlich verteilte Vielfalt vorliegen (kontrastives Sampling).

Literatur

  • Anker, T./Lippe, M. v. d. (2018): Controversial Issues in Religious Education: How Teachers Deal with Terrorism in their Teaching. In: Schweitzer, Friedrich/Boschki, Reinhold (Hg.): Researching Religious Education: Classroom Processes and Outcomes. Münster: Waxmann, S. 131–144.
  • Hiller, S./Münch-Wirtz, J. (2021): ‚Neutral‘ unterrichten? Eine Lektüre des Beutelsbacher Konsenses hinsichtlich der Positionalität von Politik- und Religionslehrpersonen. In:ÖRF 29/1, S. 124–141.
  • Kindermann, K. (2017): Subjektive Theorien von Lehrkräften über außerschulisches Lernen. Bielefeld: transcript.
  • Kuckartz, U. (2014): Mixed Methods. Methodologie, Forschungsdesigns und Analysen. Wiesbaden: Springer.
  • Muth, K. (2021): Bewertungskriterien ethischer und religiöser Urteilskompetenz. Eine qualitative Studie über Prüfungsaufgaben und Bewertungsvorgaben im Fach Evangelische Religionslehre. Leipzig: EVA.
  • Oberle, M./Ivens, S./Leunig, J. (2018): Grenzenlose Toleranz? Lehrervorstellungen zum Beutelsbacher Konsens und dem Umgang mit Extremismus im Unterricht. In: Möllers, Laura/Manzel, Sabine (Hg.): Populismus und Politische Bildung (= Schriftenreihe der GPJE). Schwalbach am Tausnus: Wochenschau, S. 53–61.
  • Pace, J. L. (2019): Contained risk-taking: Preparing preservice teachers to teach controversial issues in three countries. In: Theory & Research in Social Education 47/2, S. 228–260.